Tag 25-28
Von Beijing Part Two |
Wir haben gegen chinesische Gesetze verstoßen. Jawohl. Hier, in 600 000 Fuß Höhe auf dem Weg nach Paris in einer Air France-Maschine kann ich es wohl zugeben: Wir waren auf der Mauer in Huanghua. Das ist ein Mauerabschnitt, der touristisch nicht so richtig erschlossen ist, weil die Lokalverwaltung es nicht zulässt – ander als in Badaling, dort stehen angeblich Karussels, an vielen anderen Abschnitten des nur noch in Teilen erhaltenen Bauwerks gibt es immerhin Imbissbuden. In Huanghua gibt es nichts außer einem riesigen blauen Verbotsschild.
Da gingen wir also dran vorbei und erwarben von einem auf einem Felsen rumhängenden Einheimischen ein (selbstgedrucktes) „Ticket“ für 2 Yuan. Dann stapften wir über einen kleinen Staudamm zu einer rostigen Leiter. Sie führt auf die Mauer und ist nur mit einem Stück Draht an einem Ast festgemacht, der mit einem weiteren Stück Draht irgendwie in der Mauer steckt (siehe Fotos). Doch nachdem wir lebendig durch ein Fenster in den Befestigungsturm geklettert waren, hatten wir die Mauer und damit das Fels- und Gebirgspanorama quasi für uns. Eine kleine Gruppe Chinesen lief uns anfangs (mit aus dem Handy dudelnder Musik) entgegen, nach einer Stunde Wanderung waren wir aber entgültig allein. Es war so still, dass ich das Rascheln meiner Haare auf dem Brillengestell einige Minuten lang ernsthaft für eine Klapperschlange hielt.
Der Huanghua-Abschnitt ist kaum restauriert und damit echt. Die Steine wackeln und wenn man am Mörtel rumpult, wird schnell klar, warum das Bollwerk die Mongolen nicht wirklich aufhalten konnte. Wie ein Lindwurm schlängelt sich die Mauer über die Gebirgskämme, teilweis extrem steil, so dass man sich an der noch vorhandenen Brüstung entlangdrücken muss. Es war warm, die Windjacken verschwanden erneut in unseren Rucksäcken. Theoretisch kann man von einem Abschnitt zum nächsten wandern und in den Befestigungstürmen übernachten – Schlafsack vorausgesetzt.
Unter Gesetzlosen
Von Beijing Part Two |
„Was für eine nette alte Dame!“ – ist als Ausruf bei diesem Bild keineswegs angebracht. Diese kleine zahnlose Hutzelante stellte sich uns auf halber Strecke in den Weg. Sie stemmte die Arme in den Türrahmen eines Mauertürmchens und keifte in irgendeinem Dialekt auf uns ein. Sie wollte Geld für den weiteren Abschnitt. Hinter dem resoluten Muttchen lag eine Axt, die sie im Laufe der Diskussion kurz holte und kläffend Hackbewegungen vollführte, dann aber rasch wieder fallen ließ. Mann hatte uns vor der kleinen Hexe gewarnt. Zwei Amerikaner riefen uns auf dem hinweg zu, die Alte ließe sich einfach away pushen, aber ich zögerte: Wir standen immerin verbotenerweise auf der Mauer der Chinesen und sollten nun eine alte einheimische Dame wegschubsen? Glücklicherweise hatte ich meinen litauischen Bodyguard dabei, Moni ist da weniger zimperlich.
Als wir durch waren, rang ich noch eine Weile mit ethischen Bedenken, die ich dann noch auf Juristenart zerstreuen konnte. Nämlich: Zwar begingen wir ein Delikt, indem wir die Mauer betraten. Dennoch berechtigt das Oma nicht zu einer Nötigung. Hoheitsbefugnisse durfte sie schließlich nicht ausüben: Auch wenn der Mauerabschnitt in Huanghua irgendwie lokal verwaltet wird, so ist so eine Mauer kein Privatgrundstück. Das Schubsen war also Notwehr, schloss ich daraus und die blühenden Sträucher an den Berghängen wogen sich beruhigend im Wind.
Pittoreske Sommerfrische
Wenn es dem Kaiser in der verbotenen Stadt zu stickig wurde, so kolportiert unser Reiseführer, zog er sich in den Sommerpalast am Rande der Stadt zurück. Der Palast selbst klebt eindrucksvoll an einem Berghang und ist umgeben von einer See- und Brückenlandschaft, die mal wirkt, als wäre man wie Mary Poppins zusammen mit Bert, Jane und Michael in ein Straßengemälde gehüpft, es aber dann witterungsmäßig fast schon mit der windigen Kiellinie aufnehmen konnte.
Von Beijing Part Two |
Kaiserwitwe Cixi ließ es sich übrigens nicht nehmen, das Geld, das eigentlich für die Nordflotte gedacht war, in ein riesiges, hart am Kitsch segelndes Marmorboot zu verfeuern. Darauf muss man erst einmal kommen.
Guiness-Buddha
Ach ja: Auch in Peking waren wir Einkaufen – dasselbe Spielchen wie in Shanghai, aber eine gespreiztere Qualität. Neben offensichtlichem Schrott gab es dort Kopien von Markenrucksäcken, die wirklich eine erstaunliche Qualität hatten. Die Verkäuferinnen waren teilweise Schülerinnen. Beim Einkauf in China zeigte sich allerdings, dass man gute Qualität (ob Markenfake oder chinesisches Produkt) auch in einem ganz gewöhnlichen Laden bekommt – dort ganz ohne Feilschen.
Um den Tag nicht nur mit Shopping zu verbringen, besuchten wir noch den Lama-Tempel im Stadtzentrum. Auch wenn er einen 18 Meter hohen Guiness-Buch-der-Rekorde-Buddha beherbergt (angeblich geschnitzt aus einem gigantischen Klotz Sandelholz), konnte dieser recht touristische Ort mich nicht wirklich anrühren – nicht so wie der weniger spektakuläre, aber authentischere Hai Long Hua Tempel in Shanghai.
In allen asiatischen Tempelanlagen verblüffte mich auf dieser Reise (und auch vormals in Taiwan/Hongkong), dass Gläubige, Gelegenheitsgläubige und Touristen so ungerührt voneinander die Stätten auf ihre Weise nutzen: Neben einem kamerabehangenen Amerikaner verbäugen sich Asiaten vor Statuen, halten dabei Räucherstäbchen über dem Kopf, mal andächtiger, mal routiniert-abwesend, aber stets mit einem gewissen Ernst. Im Lama-Tempel bekommt man dazu passende Anweisungen: Meist genügen drei Räucherstäbchen, um dem Buddha zu huldigen.